Genres: Psychiatrie und Psychotherapie
Seiten: 120
Format: Paperback
Ersteinschätzung, Risikobewertung, Intervention, Rechts- und Versorgungskontext
- fundierte Handlungsempfehlungen für den Umgang mit psychiatrischen Notfällen im präklinischen Stadium
- Hinweis auf mögliche Gefährdungsaspekte, die bei der präklinischen Notfallversorgung psychisch erkrankter Personen auftreten können
- Grundlagen zu Organisationen im Hilfesystem und rechtlichen Fragen
Im Jahr 2025, 50 Jahre nach der Psychiatrie-Enquête, wird die Integration psychiatrischer Versorgungsangebote in das Gesundheitswesen weiterhin ein wichtiges Thema bleiben.
1975 begann eine Reform dieses psychiatrischen Versorgungssystems, nachdem festgestellt wurde, welche Missstände damals in den Einrichtungen für psychisch Kranke herrschten. Die Psychiatrie-Reform führte zu einer Integration der psychiatrischen Hilfen in das Gesundheitssystem, die auch heute noch nicht vollständig gelungen ist.
Das merken wir in den verschiedenen Praxisfeldern im ambulanten Bereich des Gesundheitssystems immer dann, wenn eigene Kompetenzen fehlen, und integrative Hilfen zeitlich verzögert oder nur schwer erreichbar sind, also zum Beispiel im Not- oder Krisenfall.
Integration? Davon handelt auch das vorliegende Buch von 12 Fachleuten aus den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern der Hilfen für psychisch kranke Menschen. Herausgegeben von Simon Kurzhals, Oberarzt und Leiter der psychiatrischen Akutstation einer Klinik in Essen, versammelt dieses handliche Werk wichtige Informationen für Arbeitskräfte, die in Ambulanzen, ärztlichen Praxen, im Rettungsdienst oder im Polizeieinsatz mit Notfall- und Krisensituationen von psychisch erkrankten Menschen konfrontiert sind.
Wichtige Fragen, die fundiert und aus verschiedenen Perspektiven behandelt werden, sind zum Beispiel:
- Wo ist Krisenintervention im ambulanzen Setting notwendig und möglich?
- Wann ist es erforderlich, psychiatrische Fachkräfte hinzuzuziehen, und eine fachpsychiatrische Behandlung einzuleiten?
- Wann befinden wir uns mit den Anforderungen, die die Notfallsituation an uns stellen, im Übergang vom ambulanten zum stationären Versorgungssystem, und wie lässt sich dieser Übergang für alle Beteiligten angemessen organisieren und handhaben?
Das im September 2024 neu erschienene Buch ist für Praktiker:innen gedacht, die nicht unbedingt zu den psychiatrischen Berufsgruppen gehören. Die Handlungsempfehlungen sind durchweg kompetent aus Sicht der jeweiligen Spezialist:innen dargestellt und heben sich in ihrer Strukturierung wohltuend vom Format sogenannter Kittel-Taschenbücher ab. Dadurch bleibt Platz für die eigene, kritische Reflexion.
Ein Checklisten-Buch ist diese Neuerscheinung also nicht. Sehr positiv hervorzuheben ist jedoch eben dieses kritische Potenzial, das an vielen Stellen auf mögliche Hürden und Stolpersteine hinweist, etwa was Fragen der Risikobewertung im Rettungsdienst betrifft, rechtliche Aspekte hinsichtlich der Einschätzung von Selbst- und Fremdgefährung in Akutsituationen, oder auch die Bedeutung von fachgruppenübergreifender Zusammenarbeit in der Bewältigung präklinischer Notfallsituationen.
Ich freue mich, Ihnen dieses neue Buch empfehlen zu können, wenn Sie in Ihrer Praxis, Ihrer sozialen Einrichtung oder im ambulanten, sozialpsychiatrischen Kontext (Wohngruppe, ambulant betreutes Wohnen o.ä.) als Fachkraft arbeiten und sich eingehender mit der Thematik befassen möchten.
Was ich Ihnen empfehlen würde, wäre die gemeinsame Reflexion einzelner, für Sie relevanter Kapitel im Team, um anschließend eigene Handlungsempfehlungen für Ihr Team, Ihre Einrichtung oder Praxis zu besprechen, und sich gegebenenfalls mit den für sie zuständigen Fachstellen, etwa dem lokalen sozialpsychiatrischen Dienst oder der Sektorklinik, über die geeigneten Schritte für den Notfall zu verständigen, bevor dieser eintritt.
Und dem kompakten Wegweiser wünsche ich in den nächsten Auflagen die Erweiterung um aktuell noch fehlende oder nur kursorisch berücksichtigte Teilbereiche, in denen eine vergleichbare Kompetenz wie in den bereits abgedeckten Einsatzfeldern wünschenswert wäre, wie etwa in der psychotherapeutischen Versorgung (Praxen, Ausbildungsinstitute und MVZ) und in den Einrichtungen der Suchthilfe, in denen sich häufig Personen mit Doppeldiagnosen in psychosozialen Problemlagen gerade in Momenten kritischer Entwicklung und Zuspitzung aufhalten.
Besonders gefallen hat mir die gute Berücksichtigung von Selbsthilfe und Peerbegleitung. Was mir fehlt, ist ein redaktionell aufbereitetes Inhaltsverzeichnis, das gerade angesichts der insgesamt angenehm moderaten Strukturiertheit des Buches das Auffinden einzelner Stichworte erheblich erleichtern würde. Es ist ein Buch, mit dem gearbeitet werden möchte, und genau das möchte ich Ihnen wärmstens ans Herz legen.