Ich sitze im Knast. Nach einem Jahr habe ich raus, wie das hier funktioniert.
In der JVA gehen die Uhren anders. Meine eigene musste ich abgeben.
Mir gegenüber sitzt ein Strafgefangener, den ich im Auftrag der Justiz behandle. Die einjährige Teilnahme an einer Achtsamkeitsgruppe hatte das Interesse an einer Psychotherapie geweckt.
Psychotherapie im Strafvollzug. Das war vor einem Jahr noch ein völlig neues Arbeitsfeld für mich:
Ich durchlaufe für jeden Termin eine Personenkontrolle, muss meinen Ausweis abgeben.
Ich bin extrem angespannt. Habe ich alles beachtet, nichts Unerlaubtes mitgenommen? An der Panzerglasscheibe hängt eine kleine Postkarte: „Ab hier bitte lächeln.“ Ich blicke verkrampft, spreche über eine Wechselsprechanlage mit dem Beamten, der mir schließlich einen schweren Schlüssel für ein Schließfach aushändigt.
Durchleuchtung wie am Flughafen, in unregelmäßigen Abständen eine Leibesvisitation. Uhr, Handy, Schlüsselbund, alle Metallgegenstände habe ich vorsorglich eingeschlossen.
Andere müssen auch Schuhe und Gürtel ausziehen. Das bleibt mir zum Glück erspart.
Alle Beamt*innen sind freundlich, aber reserviert. Erst nach einigen Monaten wird sich die Atmosphäre lockern, so dass auch bei mir etwas mehr Entspannung entsteht.
Alles vermittelt mir ein Gefühl, auch als Therapeut alle meine Freiheitsrechte abzugeben, um einen Strafgefangenen behandeln zu können. Ich nehme bewusst wahr, wie sich das anfühlt, und dass diese Atmosphäre ängstigende Artefakte verursacht, die auch bei meinem Patienten spürbar sein werden.
Genau das scheint nach meinem ersten Arbeitsjahr eines der hauptsächlichen Hindernisse für die therapeutische Arbeit zu sein.
Es geht bisher vornehmlich darum, die Auswirkungen der nur schwer erträglichen Haftbedingungen zu bearbeiten. Die Regeln verstärken lediglich sozial erwünschtes Verhalten, das der Anpassung dient.
Das scheint mir keine ausreichende Voraussetzung für eigenständige Einsichten und aktive Reue zu sein.
Doch die Arbeit an diesem Ziel wird wohl erst in einigen Wochen richtig beginnen können. Dann soll mein Patient in den offenen Vollzug verlegt werden und wird von dort aus meine Praxis aufsuchen.
Bis dahin helfe ich ihm (und mir) dabei, das nötige Vertrauen aufzubauen, um einander so begegnen zu können, dass wir tatrelevante Persönlichkeitsanteile eingehend bearbeiten können.
Wir erwarten eine positive Veränderung, die über Anpassung hinausgeht. Dazu soll eine Förderung der Mentalisierungsfähigkeit beitragen, damit keine Gefahr mehr von ihm ausgeht.
Die Psychotherapie soll eine seelische Entwicklung fördern, die die Voraussetzungen für Mitgefühl und freie, soziale Interaktion ohne Einsatz von Gewalt und Manipulation schafft.
Ich bleibe zuversichtlich und vorsichtig in meinen Schlüssen, die ich aus diesem einen Jahr ziehen möchte.
Dieses Ziel kann Psychotherapie bei einem Strafgefangenen in Haft jedoch nur erreichen, wenn der sich aus freien Stücken mit seiner Tat und mit sich selbst auseinandersetzen kann.