Was geschieht, wenn Psychotherapeut*in und Patient*in feststellen, dass ein Teil dessen, was sie erhofft hatten aufzulösen, bestehen bleibt? Was heißt das für den Fall, dass sich Zusammenhänge zur Lebensgeschichte auffinden, Denk- und Verhaltensmuster verstehen und als ursächlich für das seelische Leid identifizieren ließen, und viele Veränderungen möglich wurden, aber doch ein unveränderlicher Rest bleibt?
Gibt es Hoffnung darauf, dass sich nachhaltige Veränderungen durch Psychotherapie erreichen lassen, egal welcher Schulrichtung wir angehören, auch wenn sich an den Inhalten der leidvollen Erfahrungen nichts Grundlegendes verändern wird?
Jenseits der Diskussionen über den Negativity Bias in der Psychoanalyse oder den Positivity Bias in der Verhaltenstherapie gibt es etwas, das beide Perspektiven gemeinsam ist: sie drohen den jeweils anderen Teil auszublenden. Sie scheinen entweder fixiert auf die Verhinderung aller belastenden Erfahrungen, oder auf die Kritik bestärkender und ermutigender Interventionen.
In der buddhistischen Psychologie finde ich einen Umgang mit leidvollen Erfahrungen, der geprägt ist von Akzeptanz und Offenheit für das, was „wirklich ist.“ Im Buddhismus geht darum, sich damit vertraut zu machen und den Umgang mit unvermeidlichen Erfahrungen zu erlernen. Wir sprechen von Bewusstheit oder Bewusstsein, und meinen damit die Einsicht in das Wesen der Erfahrung. Paul Watzlawick spricht von einer Lösung zweiter Ordnung, in der sich nicht das Problem an sich, sondern unser Verhältnis dazu verändert.
Was Psychoanalyse und Buddhismus verbindet, ist der Wert der direkten Erfahrung in der Begegnung mit der Wirklichkeit, sei es in Beziehungen, in der Natur, in der Lebensgeschichte.
Erfahrungsbasierte Heilung ist das, was im Hier und Jetzt der analytischen Situation angestrebt wird. Übertragung und Gegenübertragung liefern das Material für die Arbeit mit lebensgeschichtlichen Erfahrungen im gegenwärtigen Moment. Dann ist das Vergangene im Gegenwärtigen präsent.
Erfahrungsbasierte Heilung ist auch das Ziel der Achtsamkeitsmeditation, des (Selbst-)Mitgefühls und des Bewusstseinstrainings, die ich in der buddhistischen Psychologie finde. Hier lerne ich, mich von fixierten Vorstellungen und Erwartungen zu lösen, meinen Geist von den Fesseln meines Weltbildes zu befreien.
Auch die Verhaltenstherapie findet ihren eigenen, konzeptuellen Zugang zu diesem Aspekt des unmittelbaren Erlebens. Sie legt in der Schematherapie Wert auf die eingehende Auseinandersetzung mit krank machenden Beziehungsmodi. Bahnbrechende Erfahrungen können mit Hilfe der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) erreicht werden.
Diese beiden neueren Formen der Psychotherapie der sogenannten 3. Welle der Verhaltenstherapie betonen Aspekte der Biografie-Arbeit und der Emotionsforschung, die sich für die Integration in eine gemeinsame Zielsetzung aller drei Perspektiven eignen könnten – der psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie und der buddistischen Psychologie.
Die Metapher des zweiten Pfeils
Dann geht es letztlich nicht mehr um die Erfüllung meiner Erwartungen, sondern darum, mit leidvollen Erfahrungen, Mustern und Verhaltensweisen so umzugehen, dass ich lerne, ihnen nicht noch mehr hinzuzufügen. Das vermittelt die Metapher des zweiten Pfeils.
Der erste Pfeil trifft mich schmerzhaft. ich kann es nicht verhindern. Sobald ich jedoch dem entstandenen Leid etwas hinzufüge, schieße ich den „zweiten Pfeil“ ab, der das Leid nur noch verstärkt. Das kann dadurch geschehen, dass ich mit meinem Schicksal hadere, mich ungerecht behandelt fühle und darüber zu grollen beginne, oder dass ich mich um etwas betrogen fühle, von dem ich glaube, dass es mir zusteht.
Was kann ich tun, um den zweiten Pfeil nicht abzuschießen?
Gleichmut verhindert den selbst verursachten Zuwachs von Leid
Was ich zu lernen versuche, wird im Buddhismus mit upekkha, Gleichmut bezeichnet. Die deutsche Übersetzung ist nicht ganz glücklich, weil viele Menschen mit Gleichmut die Vorstellung verbinden, dass es uns egal ist, was passiert. Manche Autor*innen übersetzen Gelassenheit, das klingt besser, weil entspannter, obwohl diese Haltung der Gelassenheit oft alles andere als leicht einzunehmen ist.
Letztlich geht es darum, sein Herz nich daran zu hängen, bestimmte Erwartungen erfüllt zu bekommen. Und wir können darin die Fähigkeit entdecken, die uns im Umgang mit dem unveränderlichen Rest in der Psychotherapie helfen könnte. Wenn wir loslassen können, uns verabschieden und einen Trauerprozess dazu nutzen können, uns von etwas zu lösen, dann können wir uns öffnen.
Das setzt auch voraus, anzuerkennen, was wir nicht ändern können. Aber wäre das nicht die beste Voraussetzung dafür, um mit den leidvollen Erfahrungen umzugehen, die bestehen bleiben und sich nicht „wegtherapieren“ lassen?