Zielorientiert oder prozessorientiert?

Was motiviert Sie dazu, etwas zu unternehmen, zu handeln? Ein Ziel, das Sie erreichen möchten, oder das Tun „an sich“, als Ausdruck einer Entscheidung, einer Praxis und einer Haltung?

Diese Frage wird für mich besonders wichtig, wenn ich mir vorstelle, dass ich mein Ziel aus den Augen verloren habe, oder es sich als unrealistisch herausstellt, es noch zu erreichen.

  • Das Klimaziel „unter 1,5 Grad“ Erderwärmung wird voraussichtlich nicht mehr zu erreichen sein. Sind dann unsere Bemühungen umsonst? Kann ich als Einzelner überhaupt etwas erreichen? Müssen nicht „die Mächtigen“ etwas ändern?
  • Ich werde in diesem Leben vermutlich keinen Ultratrail du Mont-Blanc mehr laufen mit seinen 100 Meilen. Verliert dann mein Training, das ich mit dieser Idee verbunden hatte, jetzt an Wert, und höre ich auf zu laufen?
  • Mein Patient hat trotz intensiver Bemühungen zum Ende der Therapie immer noch Angst. War alles vergeblich?

„Wir haben, was wir suchen. Wir müssen nicht hinterher eilen. Es war die ganze Zeit da, und wenn wir ihm Zeit geben, wird es uns bekannt werden.“

Thomas Merton

Eine meiner wichtigsten Entdeckungen auf meiner Reise durch die buddhistische Praxis ist die, dass die Haltung entscheidend ist, nicht das Erreichen eines Ziels. Die Praxis, nicht ein bestimmtes Ergebnis.

Im Mahayana-Buddhismus drückt der Begriff der „Buddha-Natur“ aus, dass wir das, was wir werden wollen, bereits in uns tragen. Wir „sind“ bereits, aber wir müssen es „erfahren.“ Dann realisiert sich das, was „Buddha“ heißt, das Erwachen.

Eine Haltung motiviert mich dazu, Entscheidungen zu treffen, die ich in der Gegenwart bereits umsetze. Ich bin. Das ist der Wesenskern dessen, was Thomas Merton im Zitat sagt.

  • Mein Engagement für eine gerechte Welt ist aus sich selbst heraus gültig, nicht vom Ergebnis, das wahrscheinlich nie erreicht werden wird. Durch mein Handeln setze ich etwas von dem, was ich für richtig halte, in die Tat um. Die dazu gehörende Haltung gibt für mich den Ausschlag.
  • Wenn ich etwas gegen die Klimakatastrophe unternehmen möchte, dann tue ich das nicht mehr aus der Vorstellung heraus, dass sie noch abzuwenden ist, sondern aus der Entscheidung für bestimmte Handlungen, die Ausdruck meiner Haltung sind. Ich gehe davon aus, dass es richtig ist, was ich tue. Und auch wenn ich als Einzelner nichts bewirken kann: ich bin der Überzeugung, dass mein Tun verbunden ist mit dem Tun vieler Einzelner. Das ist Ausdruck meiner Haltung der Verbundenheit.
  • Ich laufe, weil ich das Laufen liebe. Die Vorstellung, einmal um das Mont-Blanc-Massiv zu laufen, entspringt meiner Phantasie. Vermutlich würde es mir gelingen, mich auf den Weg zu machen, aber ich müsste mein Leben diesem Ziel unterwerfen, so viel trainieren, meinen Körper solchen Belastungen aussetzen, dass ich die vermutlich die Freude daran verlieren würde. Ein inneres Bild des Mont Blanc und seiner Umrundung begleitet mich seither, nicht als Ziel, sondern als eine Art „innerer Berg.“ Ich betrachte es als „meinen Berg“ und als Manifestation einer Haltung.

Nennen wir es Durchhaltevermögen.

I am arrived. I am home.

Thich Nhat Hanh

Eine Frage der Praxis

Mein Patient hat immer noch Angst. Gleichwohl hat sich etwas verändert, das womöglich dazu beitragen wird, dass in ihm die Angsttoleranz weiter wächst, und eine eigenständige Entwicklung zu einer Integration der Fähigkeit führen wird, sich von dieser Angst nicht bestimmen zu lassen. Vielleicht auch nicht. Doch meine Arbeit war und ist Ausdruck einer Haltung, mit der ich ihm etwas zur Verfügung gestellt habe, ohne über ihn verfügen zu können.

Er ist ein Heilender, nicht ich. Der Teil der Praxis, der der Umsetzung wichtiger Prinzipien dient, ist Teil dieses Prozesses der Heilung. Wann er abgeschlossen sein wird und wie, wissen weder er noch ich.

Auch wenn ich immer wieder über Ziele nachdenke, und manchmal daraus auch einen Gewinn ziehe, wenn ich bestimmte Vorstellungen damit verbinde – ich fühle mich in meinem Handeln und in meiner Motivation dazu nicht mehr abhängig davon, dieses Ziel auch zu erreichen.

Sobald ich das Gefühl habe, dass diese Abhängigkeit zurückkehrt, beginne ich damit, mir bewusst zu machen, was den eigentlichen Wert meiner Handlung darstellt. Wenn es nur das Ziel ist, beginne ich zu reflektieren und meine Motivation zu überprüfen. Ich weiß, was Zielorientierung in mir anrichten kann.

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