Wie ich als Psychoanalytiker zur Achtsamkeitspraxis kam

Newsletter #4 vom 05.10.2024

Ich wollte längst eine Newsletter-Ausgabe dazu schreiben, wie ich eigentlich da hinein geraten bin, mich als Psychoanalytiker mit Achtsamkeitstechniken, buddhistischem Geistestraining und Meditation zu befassen. Manch einer mag sich fragen: Psychoanalytiker und Achtsamkeit – wie geht das zusammen?

Es ist ja mehr als eine persönliche Motivation, wenn wir uns aus unserer Berufserfahrung heraus – oft in Zusammenhang mit konkreten Behandlungsfragen – beginnen, darüber Gedanken zu machen, was eigentlich hilft, oder besser: wie wir eigentlich helfen.

2008-2021: Als Psychoanalytiker in meiner Praxis

Seit meiner Niederlassung als Psychotherapeut und dem Beginn meiner Ausbildung zum Psychoanalytiker in 2008 beschäftigen mich immer wieder Fragen wie:

  • Was ist eigentlich eine erfolgreiche Psychotherapie? Was kann ich durch meine Arbeit als Therapeut zur Gesundung meiner Patient*innen beitragen?
  • Was tun wir eigentlich als Psychoanalytiker*innen, wenn wir „psychoanalysieren“, und worin unterscheidet sich das von unserer Alltagskommunikation?
  • Was wirkt? Was heilt? Was trägt am meisten zur positiven Entwicklung unserer Patient*innen bei?

Mit dem Abschluss meiner Ausbildung in 2013 meinte ich, meine geistige Heimat gefunden und genügend Kompetenz für meine fordernde, aber befriedigende Arbeit hinter der Couch und meinen Patient*innen gegenüber erworben zu haben. Begleitend dazu erfüllte mich meine Arbeit als Supervisor mit Teams in sozialen Einrichtungen, niedergelassenen Kolleg*innen und zuletzt zunehmend auch lernenden Ärzt*innen und Psycholog*innen in meiner Funktion als Lehrtherapeut und Supervisor.

Doch schleichend entwickelten sich in den nachfolgenden Jahren auch Zweifel und Müdigkeit.

Ich zweifelte zunehmend am Erfolg meiner Arbeit, fühlte mich angestrengt und eingenommen von den Aufgaben meines Arbeitsalltags.

Dennoch fühlte ich mich noch neugierig genug, um herauszufinden, was davon berechtigter Zweifel, und was lediglich Ausdruck einer persönlichen Infragestellung durch Erschöpfung, fehlende Reflexion und „Etwas, das noch fehlt“ sein könnte.

Diese beiden folgenden Fragen nun kamen in den letzten Monaten, bevor ich zu meditieren begann, immer häufiger auf:

  1. Welchen Stellenwert haben die Therapiestunden eigentlich bei Veränderungen meiner Patient:innen?
  2. Und wenn es irgendwann um die Zeit zwischen den Behandlungsstunden geht, kann ich Patient:innen da etwas empfehlen, was sie in Kontakt bleiben lässt mit dem, was sie in der Therapie erfahren haben, ohne gleich „Hausaufgaben“ zu verteilen?

Über das Werk des amerikanischen Psychoanalytikers Seiso Paul Cooper, der zugleich buddhistisch praktiziert und darüber schreibt, stieß ich auf eine Gemeinsamkeit von Psychoanalyse und Buddhismus:

beide folgen dem „Primat der Erfahrung.“

Beide Disziplinen legen allergrößten Wert auf das persönliche Erleben. Als Voraussetzung für diese Erfahrung gilt – ebenfalls bei beiden – die Präsenz, also die Gegenwärtigkeit in der Begegnung, und die Praxis, also das konkrete „Tun“ als Ausdruck einer Haltung, die diese Präsenz im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert.

Wie nun lässt sich damit meinen Patient*innen helfen?

Ich bewegte mich etwas ratlos und überfordert im Kreis. Dann begann eine Rückblende, mit der ich mir die Frage nach dem Sinn in meiner Arbeit neu stellte.

Ich erinnerte mich an meine Arbeit als Straßenarzt für Wohnungslose, Drogenabhängige und „Bahnhofskinder“ in der Kölner Innenstadt.

1998-2008: Als Arzt auf der Straße

In dieser Tätigkeit vereinte sich damals mein Wunsch, als Arzt für Menschen am Rand unserer Gesellschaft zu arbeiten, mit meiner spirituellen Haltung der mitmenschlichen Verbundenheit, die sich sehr früh schon in meinem besonderen Interesse für die bio-psycho-sozialen Zusammenhänge zwischen Krankheit und Lebenssituation zeigte.

Während ich mich an diese Arbeit erinnerte, fiel mir eine Parallele zu meiner aktuellen Situation auf.

Damals war ich zugleich völlig überzeugt vom Sinn meiner Arbeit und spürte doch eine gewisse Ermüdung und Rückzugstendenzen, die ich rückblickend als Zeichen eines beginnenden Burnouts betrachten würde.

Jedoch verfügte ich noch nicht über die Möglichkeiten, die ich heute habe, um über die Gratwanderungen

  • zwischen Empathie und empathischem Stress
  • zwischen Engagement und Burnout
  • zwischen Integrität und moralischer Empörung

zu reflektieren und entsprechend fürsorglich mit mir selbst umzugehen.

2021 bis heute: Aus der Achtsamkeitspraxis eines Analytikers

In meinen ersten Recherchen im „buddhistischen Praxis-Feld“ war ich 2021 auf das Buch „Gratwanderung“ von Joan Halifax gestoßen.

Halifax beschreibt fünf Bereiche, in denen sich Menschen in Gesundheitsberufen besonders auf einer Gratwanderung befinden.
Dazu gehören neben Empathie, Integrität und Engagement noch Respekt und Altruismus.

Als eine Möglichkeit der Selbstfürsorge begegnete mir hierbei immer wieder die Entwicklung von Mitgefühl als „reifer Empathie“, die sich mit Hilfe einer regelmäßigen Achtsamkeitspraxis entwickeln ließe.

Worauf ich hier nun gestoßen war, bot mir auch eine mögliche Antwort auf die oben genannten Fragen, mit denen ich jetzt als Psychoanalytiker beschäftigt bin, was nämlich in der Psychotherapie „wirkt,“ und wie ich gut für mich selbst sorgen kann, um wirksam zu sein, ohne auszubrennen.

UND: was ich meinen Patient:innen anbieten kann, um auch in ihrem Alltag besser mit sich in Kontakt zu sein.

Ich begann zu meditieren. Dabei folgte ich zunächst dem, was mir durch den Kontakt mit Joan Halifax naheliegend schien, und praktizierte Zazen, setzte mich regelmäßig hin und übte. Parallel dazu las ich auch von anderen Formen der achtsamen Bewusstseinsarbeit, erforschte die Vipassana-Meditation und fühle mich seither sowohl in meiner Arbeit als Psychoanalytiker als auch im persönlichen Leben bereichert.

Darin sehe ich heute einen Ausdruck des Selbstmitgefühls, das sich im Zuge der Erfahrung mit dieser Form des Bewusstseinstrainings neu einstellte.

Über diese Erweiterung meiner Praxis – der psychoanalytischen Praxis um die buddhistische Praxis – gelang es mir, was mir 2008 als Arzt für Wohnungslose nicht möglich gewesen war.

Ich fand einen Weg, meine Arbeit zu verändern, ohne sie durch eine andere Tätigkeit ersetzen zu müssen.

Integration von eigener Achtsamkeitspraxis in die psychotherapeutische Arbeit

Ich erforsche aktuell die Möglichkeiten, die sich daraus für meine Patient*innen ergeben, um eigenständig in ihrem Alltag in Kontakt zu bleiben mit dem, was sich während der Therapiestunden in der therapeutischen Beziehung entwickelt.

Da gibt es unzählige Möglichkeiten, die sich auch in verschiedenen Weiterentwicklungen der Verhaltenstherapie und der psychodynamischen Psychotherapie zeigen.

Im Austausch mit Kolleg*innen, die selbst meditieren und Formen des buddhistischen Bewusstseinstrainings praktizieren, lerne ich neue Herangehensweisen kennen, die sich für die psychoanalytische Arbeit mit Patient*innen ebenfalls eignen könnten.

So betrachte ich z.B. bestimmte geführte Meditation als Möglichkeit, Patient*innen mit Mentalisierungsdefiziten einen Zugang zu Wahrnehmungsebenen zu ermöglichen, die ihre Mentalisierungsfähigkeit stärken, insbesondere dann, wenn diese unter hohem seelischem Druck stagnieren.

Was Sie daraus für Ihre eigene Achtsamkeitspraxis ziehen können

Wenn Sie selbst Ihre Wirksamkeit als Psychotherapeut*in steigern und Ihre Zufriedenheit erhöhen möchten, kann ich Ihnen die eigene, regelmäßige Achtsamkeitspraxis wärmstens empfehlen.

In meinen Beiträgen bei LinkedIn und auf meiner Website „behnsen.com“ berichte ich von diesen Erfahrungen und schreibe darüber, was ich gelernt und selbst erfolgreich angewendet habe.

Ich schreibe über Kurse, Bücher, gute Lehrer*innen und bewährte Methoden, wissenschaftliche Befunde und kritische Aspekte des Meditierens, der formalen und informellen Achtsamkeitspraxis, und über die anderen Konzepte buddhistischer Psychologie, die die Achtsamkeit wirkungsvoll ergänzen.

Herzliche Grüße und alles Gute für Ihre Praxis,

Sönke Behnsen

Quellen:

Joan Halifax, Gratwanderung – Achtsame Ethik für ein nachhaltig bewusstes Leben

Seiso Paul Cooper, Meditation, Wisdom, and Compassion in Psychoanalytic Psychotherapy

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