Gesteuertes Denken?

Als Psychoanalytiker tue ich mich immer wieder ein bisschen schwer mit der Idee, Gedanken zu steuern. Wenn ich von Affirmationen höre, die mir etwas Positives verschaffen sollen, nur dadurch, dass ich es regelmäßig ausspreche, um es (sozusagen mechanisch) zu verinnerlichen, dann bin ich skeptisch.

Aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit Patient*innen mit affektiven und strukturellen Störungen weiß ich, wie oft sich Stimmungen und Gefühle als die wirklich wirksamen Faktoren sowohl unseres Handelns als auch unseres Selbstgefühls herausstellen.

Meine ersten Erfahrungen mit Meditationstechniken in der Vipassana-Tradition, wie der Lovingkindness-Meditation machten mich also skeptisch.

Wenn es z.B. darum geht, mir jemand vorzustellen, dem ich Zufriedenheit, Glück, Gesundheit und Sicherheit wünsche, und diesen Jemand durch immer problematischere „Zeitgenoss*innen“ auszutauschen, bis ich auch mich selbst in diese Wünsche einschließen kann, bringen mich an meine Grenzen.

Da brauche ich nur an Situationen zu denken, in denen ich mich gänzlich anders verhalte, als ich es eigentlich möchte, weil ich plötzlich, wie aus dem Nichts heraus, wütend werde und mich angegriffen fühle.

Am empfindlichsten reagiere ich, wenn ich das Gefühl habe, jemand schaut auf mich herab. Dann kann ich richtig ätzend werden.

Erst seit kurzem spüre ich eine Wirkung der Übung, bei der ich von Anfang an gehofft hatte, dass sie mir dabei helfen könnte, diese Impulsivität zu verlieren.

Sie setzt weniger bei konkreten Gedanken an, mit denen ich andere in meine liebende Güte einschließe, sondern sie verschafft mir einen Spielraum zwischen dem Reiz in einer mich fordernden Situation, und meiner Reaktion.

„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit.“

Viktor E. Frankl (1905-1997)

Ich kann mir vornehmen, nicht so schnell zu reagieren. Ich kann positive Gedanken formulieren, die mich darin bestärken, Vorbehalte fallen zu lassen. Ich kann mich mit freundlichen Gedanken Menschen zuwenden, die mir fern oder auch fremd sind.

Aber ich spüre immer wieder, dass ich selbst gegenüber den Menschen, die ich liebe, Verhaltensweisen zeige, die weder nützlich noch freundlich sind.

Doch frage ich mich, ob es wirklich das Denken ist, was wir steuern müssen, oder ob es nicht etwas anderes ist, das dabei die Wirkkraft besitzt, uns zu verändern.

Ich habe noch wenig Erfahrung mit der Vipassana-Meditation. Was ich jedoch seit einiger Zeit spüre, ist eine größere innere Offenheit, die es mir erleichtert, ein Gefühl wahrzunehmen, das in mir entsteht.

Damit kann ich schneller identifizieren, was sich als Ursprung einer bevorstehenden, emotionalen Reaktion eignen könnte, wenn damit negative Vorstellungen, Befürchtungen und Vorurteile verknüpft sind.

Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt ein Widerspruch sein muss. Mir kommt es jedoch so vor, als wenn die bewusste Ausrichtung der eigenen Aufmerksamkeit auf das Verweilen im Moment, im Hier und Jetzt dessen, was ich wahrnehme, mir dabei besser hilft, auch in solchen ansonsten wirklich brenzligen Situationen, in denen ich zu schnell reagiere, etwas Zeit zu gewinnen und mir bewusst zu werden, dass ich gerade in Gefahr bin.

Bemerkenswerter Weise nicht durch Andere, sondern durch meine schnelle Reaktion – und durch meine Vorstellungen.

Ein wütender Gedanke kann zum Beispiel von selbst auftauchen, aber wenn wir uns auf ihn konzentrieren, geben wir ihm Energie und er wird zu einem großen Thema in unserem Geist; wenn wir ihn jedoch bemerken und ihn in Ruhe lassen, verliert er seine Macht über uns und löst sich schnell auf.

Paul Gilbert und Chodron, Achtsames Mitgefühl

Mich macht es neugierig, wie sich die Gedanken der Lovingkindness-Meditation für mich nutzen lassen. Mit den eindrücklichen Möglichkeiten der Einsichts-Meditation, ein Bewusstsein für Körper, Gefühle, Stimmungen und Gedankeninhalte zu entwickeln, hat mich Vipassana ja schon für sich gewonnen. Das erlebe ich täglich in meinen Meditationen mit Adriaan van Wagensveld.

Etwas wahrzunehmen, was sich in mir aufbraut, um dann besser entscheiden zu können, wie ich mich dazu verhalten möchte, ist in meinen Augen ja schon ein riesiger Gewinn.

Und beim Wahrnehmen und Spüren, also der Erfahrung im gegenwärtigen Moment, bin ich sowieso wieder ganz dabei.

Menschen wie Sharon Salzberg, Tara Brach, Jack Kornfield oder Joseph Goldstein, die die Tradition der Vipassana-Meditation in den Westen gebracht haben, besitzen für mich eine hohe Integrität. Wenn die solche Gedanken-Meditationen anbieten, denen ich so skeptisch gegenüber stehe, dann schaue ich genauer hin.

Darum versuche ich, nicht vorschnell zu urteilen, nur weil ich mit meiner psychoanalytischen Erfahrung dazu erst einmal keinen leichten Zugang finde. Es macht mich immer neugierig, wenn Menschen, denen ich vertraue, über Dinge sprechen, die ich nicht verstehe.

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