Selbstfürsorge für Psychotherapeut*innen durch Achtsamkeitspraxis

Newsletter #2 vom 31.08.2024

Warum kann es wichtig sein, dass wir als Psychotherapeut*innen selbst Achtsamkeit üben, etwa in Form regelmäßiger Meditation, oder als Teil einer alltäglichen, informellen Praxis?

Gibt es Studien, die den Stellenwert der Achtsamkeit in der Praxis nahelegen?

Welche positiven Auswirkungen kann dies auf unsere Arbeit mit Patient*innen haben?

Zur Erinnerung: Achtsamkeit bedeutet, dass wir unsere Aufmerksamkeit bewusst offen halten für alles, was wir im Hier und Jetzt wahrnehmen, ohne das, was wir dabei registrieren, zu bewerten, und es festhalten oder loswerden zu wollen.
Als sogenannte formale Praxis geübt, nutzen wir feste Zeiten, um diese bewusste Haltung einzunehmen. In der buddhistischen Praxis üben wir die sogenannte Einsichts- oder Vipassana-Meditation, oder auch Zazen, also Zen als Sitzmeditation.

Hauptpunkt #1: Selbstfürsorge als Basis für therapeutische Präsenz

Warum ist das wichtig? Unsere eigene Achtsamkeitspraxis hilft uns, präsent und fokussiert im Hier und Jetzt zu sein. Dies ist essenziell, um unseren Patient:innen die volle Aufmerksamkeit und Empathie entgegenzubringen. Alleine, indem wir auf diese fokussierte Weise zuhören, unterstützen wir bereits eine veränderte Selbstwahrnehmung der Patient:innen, und fördern Veränderung.

Eine Studie zeigt, dass Achtsamkeitstrainings die Präsenz und Empathie von Therapeut*innen verbessern können. In einer Untersuchung mit Medizinstudent*innen, die an einem achtwöchigen Achtsamkeitstraining teilnahmen, berichteten die Teilnehmer*innen über signifikant höhere Empathiewerte im Vergleich zu einer Kontrollgruppe 7.

Dies unterstreicht, wie Achtsamkeit die Fähigkeit zur vollen Präsenz und Empathie in therapeutischen Sitzungen fördern kann.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Bevor eine Supervisandin mit ihrer täglichen Achtsamkeitspraxis in Form von Vipassana-Meditation begann, fiel es ihr während einer Sitzung mitunter schwer, sich nicht ablenken zu lassen, insbesondere dann, wenn sie erschöpft war oder unaufmerksam.

Seit sie mit bewusst gelenkter Aufmerksamkeit in den Stunden präsent sein kann, gelingt es ihr besser, die feinen Nuancen in der Kommunikation des Patienten wahrnehmen und darauf einzugehen, was zu einer tieferen therapeutischen Beziehung und einer spürbaren Verbesserung der Entwicklung ihrer Psychotherapien geführt hat.

Eine Praxis-Übung: Versuchen Sie, sobald Sie sich einen Moment Zeit nehmen können, Ihre Aufmerksamkeit ganz auf den Atem zu lenken. Nehmen Sie bewusst wahr, wo Sie ihn spüren und was genau Sie empfinden, während Sie ein- und ausatmen. Versuchen Sie als nächstes, das was Sie spüren nicht zu bewerten. Verweilen Sie so einen Moment nur bei dieser Körperwahrnehmung. Öffnen Sie Ihre Aufmerksamkeit anschließend wieder auf das Geschehen um Sie herum, im Hier und Jetzt.

Hauptpunkt #2: Stressbewältigung und Burnout-Prävention

Warum ist das wichtig? Die Arbeit als Psychotherapeut*in kann emotional belastend sein. Eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis hilft uns, Stress abzubauen und Burnout vorzubeugen.

Eine Studie über ein Achtsamkeitsbasiertes Stressreduktionsprogramm (MBSR) für Gesundheitsdienstleister*innen zeigte signifikante Verbesserungen in den Burnout-Werten und im mentalen Wohlbefinden der Teilnehmer*innen. Die Ergebnisse zeigten eine Verringerung der emotionalen Erschöpfung und eine Verbesserung des persönlichen Wohlbefindens 3. Dies belegt, dass Achtsamkeit eine effektive Methode zur Stressbewältigung und Burnout-Prävention ist.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Therapeut, der sich bei mir in tiefenpsychologisch fundierter Behandlung wegen einer depressiven Reaktion befand, fühlte sich nach langen Arbeitstagen erschöpft und überfordert, zweifelte an seinen Fähigkeiten und erwog, seinen Beruf zu wechseln.

Bereits nach einigen ersten Achtsamkeitsübungen, die mitunter zwischen seinen einzelnen Behandlungsstunden Platz fanden, begann er, sich zu entspannen und wieder aufzutanken. Seine berufliche Zufriedenheit und sein Selbstbewusstsein kehrten zurück, was auch die zuvor depressive Stimmung positiv beeinflusste und seinen Behandlungsverlauf unterstützte.

Eine Praxis-Übung: Kehren Sie noch einmal zu Ihrer Atmung zurück. Alles andere darf da sein, nichts soll verschwinden. Es geht ausschließlich darum, zu spüren, was wirklich ist, und dabei zu verweilen. Ein Jucken, ein Gedanke, ein Geräusch von nebenan, alles ist da, aber jetzt lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem. Er kommt und geht von selbst, ohne dass Sie ihn manipulieren müssen.
Ein – Aus – Ein – Aus. Mit kleinen Pausen vielleicht, aber das ist nicht von Belang. Durch das Verweilen kehrt vielleicht ein bisschen Ruhe ein, aber es geht nicht darum, etwas zu beseitigen oder herbeizuführen, sondern frei geschehen zu lassen, was gerade wirklich ist.

Hauptpunkt #3: Förderung der Selbstreflexion

Warum ist das wichtig? Achtsamkeit unterstützt uns dabei, unsere eigenen Gedanken und Gefühle besser zu verstehen und zu reflektieren. Dies ist besonders wichtig, um unbewusste Gegenübertragungen und eigene Themen zu erkennen, die die Therapie beeinflussen könnten.

Eine Studie zur Selbstpraxis und Selbstreflexion (SP/SR) bei kognitiven Verhaltenstherapeut*innen zeigte, dass intensive Achtsamkeitspraxis die Reflexionsfähigkeiten, das Wohlbefinden und die Resilienz der Therapeut*innen verbesserte 4.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Ausbildungsteilnehmer, der bei mir seine Selbsterfahrung absolvierte, brachte unbewusst immer wieder eigene ungelöste Konflikte in seine therapeutischen Beziehung ein. Begleitend zur Selbsterfahrung begann er mit einem Meditationskurs und konnte dabei beobachten, wie sich für ihn solche Dynamiken frühzeitig erkennen und bewusster damit umgehen ließen, was die Qualität der Therapie verbesserte und auch seine Selbsterfahrung intensivierte.

Dieses Beispiel zeigt, wie Achtsamkeit die Selbstreflexion fördern und unbewusste Gegenübertragungen minimieren kann.

Hauptpunkt #4: Verbesserung der therapeutischen Fähigkeiten

Warum ist das wichtig? Durch Achtsamkeit entwickeln wir eine tiefere Sensibilität für die Bedürfnisse unserer Patient*innen und können unsere therapeutischen Interventionen gezielter einsetzen.

Eine Literaturübersicht über Achtsamkeitstrainings für Psychotherapeut*innen fand, dass Achtsamkeit die therapeutischen Fähigkeiten durch erhöhte Empathie und Selbstmitgefühl verbessert. Therapeut*innen, die Achtsamkeit praktizieren, berichten über eine bessere Fähigkeit, auf die Bedürfnisse ihrer Patient*innen einzugehen und ihre therapeutischen Interventionen gezielter einzusetzen8.

Auf indirekte Weise trägt eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis somit dazu bei, im Beziehungsgeschehen zu spüren, welche Interventionen in welchem Moment am hilfreichsten sind, statt unreflektiert therapeutische Standardmethoden einzusetzen.

Hauptpunkt #5: Langfristige berufliche Erfüllung

Warum ist das wichtig? Eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis trägt dazu bei, dass wir auch nach vielen Jahren in unserem Beruf Freude und Erfüllung finden. Sie hilft uns, die Herausforderungen des Alltags mit Gelassenheit zu meistern und unsere Arbeit als sinnstiftend zu erleben.

Eine Studie über die Integration von Achtsamkeit in die Ausbildung von Psychotherapeut*innen zeigt, dass Achtsamkeitspraxis zu einer höheren beruflichen Zufriedenheit und einem geringeren Risiko für Burnout führt. Erfahrene Therapeut*innen, die regelmäßig Achtsamkeit praktizieren, berichten über eine größere berufliche Erfüllung und eine geringere Neigung zur Depersonalisierung ihrer Patient*innen 1.

Statt sich nach einigen Jahren ausgebrannt und desillusioniert zu fühlen, bietet sich uns so die Möglichkeit, die täglichen Herausforderungen auch nach Jahrzehnten als Wachstumschancen zu sehen und unsere Arbeit als kontinuierlich bereichernd zu erleben.

Fazit

Die genannten Studienergebnisse (siehe auch die Quellenangaben unten) verweisen auf die vielfältigen Vorteile der Achtsamkeitspraxis für Psychotherapeut*innen und unterstreichen die Wichtigkeit der Integration von Achtsamkeit in den beruflichen Alltag.

Abschließend hoffe ich, dass Sie die Bedeutung einer eigenen Achtsamkeitspraxis für Ihre therapeutische Arbeit erkennen und vielleicht inspiriert sind, diese in Ihren Alltag zu integrieren.

Herzliche Grüße und alles Gute für Ihre Praxis,

Sönke Behnsen

Quellen:

  • 1 Posluns & Gall, 2010
  • 3 PubMed, 2012
  • 4 PubMed, 2022
  • 7 APA Monitor, 2012
  • 8 NCBI, 2021

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